Friedliche Gewalt? – Verfassungsblog – Cyber Tech

Gibt es friedliche Gewalt? Die Antwort der deutschen Strafgerichte auf diese auf den ersten Blick erstaunliche Frage lautet: Ja, wenn es sich um Sitzblockaden handelt. Sitzblockaden stellen nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 104, 92, 103 ff.) zwar eine friedliche Versammlung dar (zu einer problematischen Ausnahme zu Recht kritisch Benjamin Rusteberg). Der BGH hat sie bekanntermaßen aber trotzdem als Ausübung von Gewalt i.S.v. § 240 StGB qualifiziert, wenn zumindest eine zweite Reihe von Fahrzeugen durch die erste Reihe am Weiterfahren gehindert wird (BGHSt 41, 182). Dann genüge schon ein geringer körperlicher Aufwand wie das Sich-Hinsetzen oder das Sich-auf-die Fahrbahn-Begeben den Anforderungen an den Gewaltbegriff. Das Kammergericht Berlin ist zudem der Auffassung, dass auch Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte durch Gewalt vorliegt, wenn die polizeiliche Beendigung der Blockade durch das Ankleben an der Straße erschwert wird (KG Berlin, NJW 2023, 2792).

Viele gehen davon aus, dass diese Rechtsprechung durch einen Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2011 (NJW 2011, 3020) gebilligt worden ist. Der Kammerbeschluss setzte sich aber gar nicht mit der Frage auseinander, ob eine im verfassungsrechtlichen Sinne friedliche Versammlung überhaupt „Gewalt“ im Sinn von § 240 oder § 113 StGB sein kann. Die Kammer hat die neue Rechtsprechung vielmehr nur am Maßstab von Artwork. 103 Abs. 2 GG geprüft. Möglicherweise ist in der Verfassungsbeschwerde gar nicht mit dem Wortlaut von Artwork. 8 Abs. 1 GG argumentiert worden. Die Frage, ob das einfache Recht so ausgelegt werden darf, dass es zu einem offenen Widerspruch mit dem Textual content der Verfassung kommt, ist noch nicht beantwortet. Sie wird wieder aktuell durch die Verfassungsbeschwerden, die nunmehr gegen die Verurteilungen von Klimaaktivist*innen der Letzten Technology erhoben werden.

Die Unterscheidung zwischen Friedlichkeit und Unfriedlichkeit

Eine zentrale Frage bei der Bestimmung des Schutzbereichs der Versammlungsfreiheit ist die Abgrenzung zwischen friedlichen und unfriedlichen Versammlungen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner ersten Sitzblockade-Entscheidung aus dem Jahr 1986 eine enge Verknüpfung zwischen Unfriedlichkeit und Gewalttätigkeiten gesehen:

„Dagegen spricht bereits, daß die Verfassung die Unfriedlichkeit in gleicher Weise wie das Mitführen von Waffen bewertet, additionally ersichtlich äußerliche Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa Gewalttätigkeiten oder aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen meint und die Anwendbarkeit des Grundrechts nicht davon abhängig macht, ob eine Behinderung Dritter gewollt ist oder nur in Kauf genommen wird.“ (BVerfGE 73, 206, 248).

Daran knüpft die zweite Sitzblockade-Entscheidung aus dem Jahr 2001 an, wenn sie feststellt:

„Unfriedlich ist eine Versammlung daher erst, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden, nicht schon, wenn es zu Behinderungen Dritter kommt, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen“ (BVerfGE 104, 92, 106).

Der Oberbegriff bei der Definition von Unfriedlichkeit ist additionally „Handlungen von einiger Gefährlichkeit“, was im folgenden Halbsatz mit „Gewalttätigkeiten“ gleichgesetzt wird, wie sich aus dem Adjektiv „sonstige“ ergibt. Diese können in Kind von aggressiven Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder in anderer, nicht näher gekennzeichneter Weise stattfinden. Der Gegenbegriff ist „Behinderungen“, die additionally keine Gewalttätigkeiten darstellen. Jedenfalls gibt diese Definition keinen Anhaltspunkt dafür, dass es Formen von Gewalt geben könnte, die nicht zur Unfriedlichkeit der Versammlung führen. Die Kunstfertigkeit juristischer Argumentation kann manchmal sehr subtil sein, aber eine Differenzierung zwischen „Gewalt“ und „Gewalttätigkeit“ leuchtet nicht ein.

Hierfür spricht auch der richtige Hinweis, dass mit vielen Versammlungen gewisse nötigende Wirkungen verbunden sind (BVerfGE 73, 206, 250; 104, 92, 108). Das grundsätzliche Recht, Ort und Zeit einer Versammlung zu bestimmen, führt regelmäßig zu Nutzungskonkurrenzen am öffentlichen Raum, die oft mit sich bringen, dass die Interessen anderer Verkehrsteilnehmer*innen zurückstehen müssen. Ein regulärer Demonstrationszug auf einer Hauptverkehrsstraße kann in ähnlicher Weise zu Staus oder Umleitungen führen wie eine Sitzblockade.

Nur wenn eine Blockade der „Erzwingung des eigenen Vorhabens“ dient, kann der kommunikative Zweck verdrängt werden, so dass deshalb der Schutz von Artwork. 8 GG entfällt (BVerfGE 104, 92, 105). Bei Blockaden der Letzten Technology geht es aber offensichtlich ausschließlich um politische Fernziele, für deren Durchsetzung die Beteiligten übrigens nicht nur strafrechtliche Sanktionen, sondern auch zivilrechtliche Haftungsrisiken in teilweise enormem Umfang auf sich nehmen. Deshalb ist es von vornherein nicht das Ziel solcher Versammlungen, ein „eigenes Vorhaben“ zu erzwingen, wie etwa bei einer Blockade eines Unternehmens aus egoistischen wirtschaftlichen Gründen. Eigennützige und fremdnützige Blockaden müssen unterschiedlich behandelt werden. Übrigens fragt man sich, wann – mit dem gleichen Eifer – die Strafverfolgung der Bauernblockaden des letzten Winters einsetzt oder ob es hier möglicherweise gegenteilige Anweisungen an die Staatsanwaltschaften gibt.

Der normhierarchische Vorrang von Artwork. 8 GG

Zuzugeben ist, dass das BVerfG selbst eine Tür für die neuere Rechtsprechung des BGH, die sich letztlich nur wenig von der alten Auslegung des § 240 StGB unterscheidet, offengehalten hat. Es hat in der zweiten Sitzblockade-Entscheidung gemeint, dass das Verhalten der Teilnehmer der Blockadeaktion „[u]ngeachtet der strafrechtlichen Bewertung als Gewalt“ nicht als unfriedlich angesehen werden könne (BVerfGE 104, 92, 106). Daraus könnte man schließen, dass Friedlichkeit im verfassungsrechtlichen Sinn und Gewalt im strafrechtlichen Sinn vereinbar sind.

Außerdem hat es festgestellt, dass die Zuordnung eines Verhaltens zum Schutzbereich eines Grundrechts für sich allein noch nicht seine Beurteilung als rechtmäßig bewirke, sondern sich seine Rechtswidrigkeit aus Grundrechtsschranken ergeben könne (BVerfGE 104, 92, 107). Letzteres ist eine schiere Selbstverständlichkeit, denn natürlich kann angesichts der weiten Definition vieler grundrechtlicher Schutzbereiche nicht jedes erfasste Verhalten auch im Ergebnis zulässig sein. Natürlich kann ein islamistisch motivierter Mord nicht wegen Artwork. 4 GG oder eine tierquälerische Efficiency wegen Artwork. 5 Abs. 3 GG per se straffrei bleiben. In beiden Fällen wird man die Zuordnung zum Schutzbereich nicht ausschließen können. Auch bei den textlich schrankenlosen Grundrechten besteht aber die Möglichkeit des Gesetzgebers, aufgrund von verfassungsrechtlichen Schutzgütern Beschränkungen einzuführen.

Die Fragestellung im Fall der Sitzblockaden ist aber anders gelagert. Hier geht es darum, ob die Auslegung eines einfachen Gesetzes dazu führen kann, dass ein verfassungsrechtlich zur Abgrenzung des Schutzbereichs genutztes Kriterium gleichzeitig verwendet wird, um eine Beschränkung des grundrechtlich geschützten Verhaltens vorzunehmen. Es widerspräche der Normhierarchie, wenn der einfache Gesetzgeber berechtigt wäre, ein verfassungsrechtlich als „friedlich“ qualifiziertes Verhalten mit dem entgegengesetzten Begriff der „Gewalt“ zu belegen. Wenn „Gewalttätigkeiten“ charakteristisch für die Unfriedlichkeit einer Versammlung sind, dann kann eine friedliche Versammlung nicht umgekehrt als „Gewalt“ qualifiziert werden.

Damit wird der Tatbestand des § 240 StGB nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Es ist nur unzulässig, Sitzblockaden, die friedliche Versammlungen im Sinne von Artwork. 8 Abs. 1 GG darstellen, unter den Gewaltbegriff zu subsumieren. Gleiches muss dann für § 113 StGB gelten. Auch diese Vorschrift kann selbstverständlich weiter angewendet werden, aber nicht auf Versammlungen, solange sie friedlich im verfassungsrechtlichen Sinn bleiben. Friedliche Gewalt existiert weder in der Umgangssprache noch in einer freiheitlichen Rechtsordnung, die klare Kriterien für den Umfang des Grundrechtsschutz kennt, die nicht von politischen Stimmungen abhängig sind.

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