Keine Reform nirgends? Doch, im Lüneburger Modell! – Verfassungsblog – Cyber Tech

In den kommenden Wochen werden tausende neue Studierende an den juristischen Fakultäten ihre ersten Erfahrungen im Jurastudium sammeln. Sollte sich der Pattern der letzten Jahre fortsetzen, dürften jedoch bei weitem nicht alle auf das juristische Staatsexamen abzielenden Studiengänge ausgelastet sein. Die Zahl der Jurastudierenden ist seit Jahren rückläufig, obwohl der Bedarf an intestine ausgebildeten Volljuristinnen und -juristen – nicht nur vor dem Hintergrund aktueller rechtsstaatsfeindlicher Tendenzen oder der zu bewältigenden sozial-ökologischen Transformation – groß ist und hervorragende Aussichten auf einen interessanten, sicheren und intestine vergüteten Beruf bestehen. Junge Menschen nehmen das Jurastudium oftmals als unattraktives Studienangebot wahr.

Kritik und Reformdebatte

Blickt man auf die Gründe, weshalb sich junge Menschen für various Studiengänge entscheiden, wird man schnell fündig: Sie sehen das Jurastudium als steinig, anonym und nur wenig studierendenfreundlich an. Nicht selten empfinden sie auch die starke Ausrichtung der Studieninhalte auf das Staatsexamen als Einschränkung der eigenen wissenschaftlichen Neugier und zugleich als bedeutenden Stressfaktor. In den sozialen Medien finden sich Beiträge en masse, in denen Jurastudierende von ihrem Fremdeln mit dem Fach, veralteten Vorlesungsformaten, übersteigertem Wettbewerbsdenken unter den Studierenden und psychischer Belastung durch die Prüfungen berichten. Die heutigen Content material Creator schließen insofern nahtlos an die bereits vor über hundert Jahren geäußerte Kritik Kafkas am Jurastudium an.

In Anbetracht der sich abzeichnenden Lücke zwischen der dringenden Nachfrage an neuen, klugen Köpfen in der Juristerei und dem Angebot an juristischem Nachwuchs sowie der Unzufriedenheit der Jurastudierenden mit ihrem Fach hat die seit langem und mit wechselnder Intensität geführte Debatte über die Reform des Jurastudiums (wieder) an Fahrt aufgenommen. Als Beispiele seien die jüngsten Veröffentlichungen der Umfrageergebnisse von iur.reform und das „Hamburger Protokoll“ von 2023 genannt. Auch die Beiträge zur hiesigen Debatte „Das Jurastudium in der Kritik“ zeichnen nahezu einhellig ein Bild des Reformbedarfs.

Vorhandene Spielräume für Reformen

In der Debatte wird unter anderem der fehlende (bundes-)gesetzliche Spielraum für mögliche Reformen problematisiert und daraus folgend der Vorschlag einer Experimentierklausel für das Deutsche Richtergesetz formuliert. Eine solche Experimentierklausel soll den Ländern die Möglichkeit geben, Prüfungsstoff, -methoden und -formen zu ändern, um „das Studium der Rechtswissenschaften den Gegebenheiten der Zeit anzupassen“. Verbunden ist damit die Hoffnung, dass einzelne Länder im Rahmen eines Sandboxing Reformvorhaben realisieren, die dann, soweit bewährt, zu einem späteren Zeitpunkt in der breiten Fläche übernommen werden könnten. Doch der Eindruck, dass es erst einer Gesetzesänderung bedürfte, um grundlegende Reformen des Jurastudiums anzustoßen, täuscht. Schon heute zeigt eine Initiative des Landes Niedersachsen, dass auch im bestehenden (bundes-)rechtlichen Rahmen auf wesentliche Aspekte der Kritik am etablierten Modell des Jurastudiums reagiert werden kann: Im Lüneburger Modell folgt das Jurastudium zum Staatsexamen einer stark veränderten Konzeption.

Das Lüneburger Modell des Jurastudiums

Im Zentrum des seit 2022 an der Leuphana Universität Lüneburg (Leuphana Legislation College) angesiedelten Modells stehen zwei Besonderheiten. Erstens, die Integration des Jurastudiums in die Struktur des Bologna-Prozesses. Zweitens, die umfassende interdisziplinäre Erweiterung der rechtswissenschaftlichen Ausbildung.

Zwar zielt das auf insgesamt zehn Semester angelegte Studium auch an der Leuphana Legislation College weiterhin auf die Erlangung des Staatsexamens beim Landesjustizprüfungsamt Niedersachsen. Anders als deutschlandweit üblich, erwerben die Studierenden auf dem Weg dahin jedoch nach sechs Semestern einen akkreditierten juristischen Bachelor-Abschluss (LL.B.) und nach zehn Semestern – noch vor Absolvierung des Staatsexamens – einen akkreditierten juristischen Grasp-Abschluss (LL.M.). Sowohl Bachelor- als auch Masterstudium sind dabei vollständig in das das European Credit score Switch System (ECTS) eingepasst und damit von einer europaweiten Durchlässigkeit geprägt.

In den ersten, mit dem LL.B. abschließenden sechs Semestern erhalten die Studierenden eine rechtswissenschaftliche Grundausbildung inkl. Zwischenprüfung und verfassen eine wissenschaftliche Bachelorarbeit. In den sich anschließenden, zum LL.M. führenden vier Semestern absolvieren die Studierenden dann die „Großen Scheine“ im Zivilrecht, im Öffentlichen Recht und im Strafrecht, legen die Schwerpunktbereichsprüfung ab und erhalten eine in das universitäre Studium integrierte Examensvorbereitung (nebst Klausurenkurs, Probeexamen usw.). Der singuläre Lüneburger Schwerpunktbereich „Recht im Kontext“ legt dabei besonderes Augenmerk auf die kritische Reflektion des geltenden Rechts, wobei er gerade nicht zwischen den Fachsäulen trennt, sondern stets Themen an den Schnittstellen von Zivilrecht, Strafrecht und Öffentlichem Recht in den Blick nimmt.

Neben seiner Integration in den Bologna-Prozess weist das Jurastudium nach dem Lüneburger Modell mit der umfassenden interdisziplinären Zusatzausbildung eine weitere Besonderheit auf. Dies bedeutet, dass das Bachelorstudium neben dem Hauptfach Rechtswissenschaft (sog. Main) immer auch ein eigenständiges Nebenfach (sog. Minor) sowie ein Komplementärstudium (im Sinne eines studium generale) umfasst. Dabei können die Studierenden als Nebenfach etwa Philosophie, Politikwissenschaft oder Nachhaltigkeitswissenschaften an den übrigen Lüneburger Fakultäten wählen. Nebenfach und Komplementärstudium machen rund 40% des sechssemestrigen Bachelorstudiums aus.

Adressierung wesentlicher Kritikpunkte

Im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten greift das Land Niedersachsen mit dem Lüneburger Modell additionally wesentliche Kritikpunkte auf.

Die Vollintegration in den Bologna-Prozess ermöglicht den Studierenden ein „Choose-Out“ nach Abschluss des LL.B. oder des LL.M., um weitere (Grasp-)Studienvorhaben (ggf. im Ausland) oder Karrierewege jenseits der klassischen juristischen Berufsfelder zu verfolgen. Zugleich stellt das Lüneburger Modell sicher, dass auch im – statistisch unwahrscheinlichen – Fall des endgültigen Nichtbestehens des Staatsexamens die Studierenden dem Arbeitsmarkt „zumindest“ mit einem Grasp-Abschluss zu Verfügung stehen. Diese Gewissheit dürfte den psychischen Druck, dem sich Jurastudierende ausgesetzt fühlen, erheblich reduzieren.

Die interdisziplinäre Zusatzausbildung im Bachelorstudium ermöglicht den Studierenden außerdem den so häufig gewünschten „Blick über den Tellerrand“. In Nebenfach und Komplementärstudium können sie sich intensiv mit den nicht-rechtswissenschaftlichen Aspekten aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen, wie der Soziologie des Erstarkens antidemokratischer Kräfte, der Ökologie des Klimawandels oder der Informatik hinter sozialen Netzwerken und KI, auseinandersetzen.

Das Staatsexamen bleibt Goldstandard

Klar ist aber auch: Das Lüneburger Modell kann und will die gesetzlich vorgesehene Ausrichtung des Jurastudiums auf das Staatsexamen nicht in Frage stellen. Das zu wesentlichen Teilen eben nicht an den Universitäten, sondern bei den Landesjustizprüfungsämtern angesiedelte Prüfungsformat des Staatsexamens sichert die Vergleichbarkeit der erzielten Ergebnisse ab und hat sich als Qualitätskontrolle jedenfalls im Grundsatz bewährt. Auch nach dem Lüneburger Modell wird man künftig additionally nur mit Staatsexamen Richterin, Rechts- oder Staatsanwalt. Die auf dem Weg dahin erlangten Erfahrungen dürften gleichwohl andere sein als im klassischen Jurastudium.

 

Prof. Dr. Johanna Croon-Gestefeld LL.M. (EUI) ist Sprecherin der Leuphana Legislation College, Lüneburg.

Prof. Dr. Until Patrik Holterhus MLE. LL.M. (Yale) ist Leiter des Staatsexamensstudiengangs an an Leuphana Legislation College, Lüneburg.

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